Früher oder später wird jeder Mensch mit Diabetes mit dem Thema "Schwerbehindertenausweis" konfrontiert - sei es vom Diabetologen, von anderen Menschen mit Diabetes oder der Familie.
Allgemeine Infos über die Beantragung findet ihr hier.
Normalerweise läuft die Einstufung auf einen Grad der Behinderung von 50 hinaus, wenn folgende Komponenten gegeben sind:
Menschen mit Diabetes, die eine Insulintherapie mit mindestens vier Injektionen am Tag durchführen und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erhalten einen GDB von 50.
Die Insulindosis passen die Patienten je nach Blutzucker, Bewegung, Ernährung selbständig an.
Die Blutzuckermessungen und Insulindosen müssen dokumentiert sein.
Häufig ist es aber so, dass man erst einmal mit einem GDB von 40 abgespeist wird, so ist das auch mir passiert.
Nach zwei(!) Widersprüchen habe ich nun endlich meinen Schwerbehindertenausweis erhalten und möchte bei der Gelegenheit ein paar Tipps weitergeben, die mir geholfen haben.
1. Schreibt Tagebuch!
Am Wichtigsten sind leider wie immer die gut geführten Tagebücher.
Auch wenn es mittlerweile Software gibt, die Messgerät und Co. einlesen kann, habe ich das Gefühl, dass Krankenkassen immer noch das Papierformat bevorzugen.
Hier kann man auch besser zeigen, dass man jeden Tag viel Zeit für sein Diabetes Management anwendet.
Ich benutze für schlechte Werte beispielsweise einen Rotstift und habe unter jeden dieser Werte geschrieben, wie ich mich zu dem Zeitpunkt fühlte.
Bei Werten über 230mg/dL steht dort Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Konzentrationsprobleme.
Bei Unterzuckerungen Zittrigkeit, Benommenheit oder Schwächegefühl.
Außerdem trage ich ein, wenn ich Sport mache oder feiern war, so dass die Werte zu dem Zeitpunkt besser nachvollziehbar sind.
Abgerundet wird das Ganze durch die Eselsohren oder gelegentliche Blutflecken - schließlich trägt man ja immer brav direkt nach dem Messen die Blutzuckerwerte ein, nicht wahr? ;-)
2. Persönliches ist hilfreich!
Den gewünschten Papieren habe ich einen persönlichen Brief beigelegt, in dem ich beschreibe, in welchen Situationen ich mich durch den Diabetes in meinem Alltag eingeschränkt fühle.
Hier ein paar Auszüge:
Der Therapieaufwand für mein Diabetesmanagement nimmt täglich viel Zeit ein.
Bei drei Mahlzeiten und zwei Snacks zwischendurch muss das Essen vorbereitet, gewogen und zusätzlich ausgerechnet werden, wie viele Kohlenhydrate die Mahlzeit bzw. der Snack enthält.
Dies muss in Verhältnis zu dem benötigten Insulin gesetzt werden, wobei bei der Insulinpumpe der Bolusrechner verwendet werden kann.
Dann muss gegebenenfalls ein Spritz-Ess-Abstand eingehalten werden, um Blutzuckerspitzen zu vermeiden, diesen halte ich beim Frühstück ein, der Spritz-Ess-Abstand beträgt dort eine Viertelstunde.
Bei besonders fettigen oder eiweißhaltigen Lebensmitteln wie zum Beispiel Pizza oder Müsli sollte mit der Insulinpumpe verzögert Insulin abgegeben werden.
Bei Pizza beispielsweise spritze ich 50% meiner Insulindosis sofort und 50% über 2 Stunden verteilt.
Dies ist allerdings für jede Diabetestherapie individuell anzupassen und kann nicht vom Diabetologen bestimmt oder aus einem Handbuch entnommen werden.
Daher muss bei jeder Mahlzeit Insulindosis, Spritz-Ess-Abstand und Verzögerung der Insulinmenge von Neuen bedacht werden.
Zum Glück überwiegt das Negative in diesem Text meistens nicht ;) |
Denn gerade weil mein Körper dabei sehr sensibel reagiert, wird mir schon bei Blutzuckerwerten um die 70mg/dL schwindelig und häufig fühle ich mich sehr zittrig und benommen.
Schon einige Mal ist es mir passiert, dass ich außerdem leicht krampfe und darauf angewiesen bin, von näherstehenden Personen zuckerhaltige Getränke oder Traubenzucker zu bekommen und nicht mehr selbst in die Küche/Vorratskammer gelangen kann.
Für die Nacht habe ich einen Vorrat an Traubenzucker und Cola am Bett stehen, auch hier ist es wichtig, dass diese Vorräte immer aufgefüllt sind.
Auf der anderen Seite müssen auch die Korrekturen von „hohen“ Blutzuckerwerten über 160mg/dL gut durchdacht werden, reagiere ich doch tagsüber unterschiedlich auf die Korrekturen.
Bei Unterzuckerungen und auch bei Überzuckerungen hängt deshalb auch viel vom Gefühl ab, welches man erst nach einiger Zeit mit Diabetes entwickelt.
Denn es lässt sich manchmal nicht vermeiden: ein Teufelskreis aus Unter- und Überzuckerungen.
Hinzu kommt meine Vorbereitung auf Aktivitäten.
Vor dem Sport muss ich einen Blutzucker von mindestens 200mg/dl haben, um nicht während der Ausübung zu unterzuckern.
Dazu spritze ich entweder weniger für die vorherige Mahlzeit oder esse eine Kohlenhydrateinheit extra, wie beispielsweise eine Banane.
Das Problem bei einer Mahlzeit davor ist, dass das aktive Insulin dennoch einige Zeit wirkt und den Blutzuckerwert während des Sports zusätzlich beeinflusst.
Das heißt also auch, dass ich mich nicht einfach spontan dazu entschließen kann, Sport zu treiben.
Wenn ich also mit Freunden am Strand bin und wir beschließen, Volleyball spielen zu wollen, müssen meine Freunde erstmal einige Zeit auf mich warten, bis ich so weit bin.
Auch wenn ich einfach nur eine längere Zeit unterwegs sein möchte, ist eine Extra-KE angebracht, denn auch bei Spaziergängen oder Fahrradtouren sinkt mein Blutzucker ungewöhnlich schnell ab.
Diese Situationen belasten mich psychisch und führen dazu, dass ich mich häufig ausgegrenzt und unwohl fühle. Es ist sehr anstrengend, jeden Tag aufs Neue erklären zu müssen, dass ich ohne Insulin sterben würde und daher natürlich darauf angewiesen bin.
Ich kann diese chronische Erkrankung nicht einmal für eine Stunde aus meinen Gedanken verbannen, ohne dass es auf mich selbst zurückfällt.
Die Aussicht, auf diese Krankheit für den Rest des Lebens Rücksicht nehmen zu müssen, deprimiert mich häufig.
Auch eine Angst vor Folgeerkrankungen, selbst bei guter Einstellung, bleibt immer im Hinterkopf bestehen.
Das Diabetesmanagement ist also auszuhalten, beschränkt mich aber ganz eindeutig in meiner Lebensqualität, auf physischer und psychischer Ebene.
Dazu bleibt zu sagen, dass in einer solchen Auflistung nur auf die negativen Gedanken eingegangen wird und ich mich nicht grundsätzlich so fühle.
Dennoch finde ich es wichtig, dass auch diese Gefühle berücksichtigt werden, schließlich gehört dies zum Leben mit Diabetes dazu.
Oft werde ich gefragt, warum ich einen Schwerbehindertenausweis haben wollte und ob es auch Dinge gibt, die gegen eine Beantragung sprechen.
Dazu kann ich sagen, dass ich gern alle Vorteile in Anspruch nehme, die mir zustehen.
- Steuervergünstigungen
- Bevorzugte Einstellung
- Kündigungsschutz
- eine Arbeitswoche Zusatzurlaub
- Ermäßigungen bei einigen Fluggesellschaften, Fernbussen usw.
Der größte Nachteil ist wohl der negativ konnotierte Begriff "Schwerbehinderung".
Gerade Arbeitgeber schreckt dies oft ab, obwohl größere Firmen in der Regel eine bestimmte Anzahl von Menschen mit Behinderung einstellen müssen.
Ich denke, bei einem Vorstellungsgespräch sollte man den Diabetes ohnehin in ein positives Licht rücken.
Man könnte erwähnen, dass man durch das tägliche Management diszipliniert und verantwortungsbewusst ist.
Dadurch, dass man sehr offen mit der Erkrankung umgeht, merkt der Arbeitgeber auch gleich, dass der Diabetes kein großes Problem darstellen wird.
Am Schluss bleibt es natürlich die Entscheidung des Einzelnen, einen solchen Nachteilsausgleich zu beantragen.
Wie steht ihr zum Thema Schwerbehindertenausweis?
Habt ihr noch Fragen zur Beantragung oder könnt Hilfe gebrauchen?
Schreibt mir einfach eine Nachricht.
11 Kommentare
http://www.diabetes-und-recht.de/bundessozialgericht-urteil-vom-25-10-2012-b-9-sb-212-r/
Weiter so :)
ich werde in diesem Wonnemonat Mai 50 Jahre und passend dazu habe ich mich vor zwei Monaten durchgerungen, auch mal ein "Tagebuch" ordentlich zu führen und den Antrag auf Schwerbehinderung zu stellen, mit dem Ergebniss, dass ich sofort meine 50 bekam.
Ganz ehrlich gesagt, hätte ich dies schon viel früher machen sollen, denn meinen "Freund" den Zucker habe ich nun auch schon 10 Jahre lang.
Möchte alle die sich bis jetzt noch nicht getraut haben ermutigen es baldigst zu machen.....es tut nicht weh ;-)
Ich bin überrascht, dass Ihr nahezu alle die 50 erhalten habt. Ich glaube das hängt auch vom Bundesland ab. Hier in Baden-Württemberg, insbesondere im Rems-Murr Kreis ist man besonders pingelig. Hier wird nahezu Jedem der Schwerbeschädigtenausweis versagt, auch wenn Er oder Sie bereits den Kopf unter dem Arm trägt und Gutachten mit einer Empfehlung von 80 vorlegen kann. Vorschlag Versorgungsamt dicht machen, den GdB von 50 gibt es ja eh nicht. Ich bin nach 11 Jahren und zig Klagen bis heute noch nicht über 40 gekommen!
Würdest du mir den Widerspruch erläutern. Eventuell Wiederspruchschreiben veröffentlichen.
Nämlich ich erwarte auch so eine erste Einstufung, ich wollte mich auf Wiederspruch vorbereiten.
Liebe Grüße
Vielen Dank für deine Hilfe.